Städtischer Schlacht- und Viehhof
Das 1819 in der heutigen Leopoldstraße eröffnete Schlachthaus – das dritte nach den 1729 am Marktplatz und 1790 am Ludwigsplatz eröffneten Schlachthäusern – deckte in den 1870er-Jahren kaum mehr den Fleischbedarf der rasch anwachsenden Bevölkerung ab. Rückständige Hygienebedingungen und seine inzwischen innerstädtische Lage bildeten weitere Gründe für den Bau einer geräumigen hochmodernen Schlachthaus-Anlage an der östlichen Peripherie entlang der Durlacher Landstraße (heute Durlacher Allee).
Der 1885 bis 1887 nach Plänen des Stadtbaumeisters Wilhelm Strieder entstandenen Anlage in französischer Pavillonbauweise war ein 1883 vom Landestierarzt und Referent für Veterinär-Angelegenheiten August Lydtin erstelltes Gutachten vorausgegangen, das konkrete Angaben zu Lage, Größe und betriebstechnischer Organisation des geplanten Schlachthofs machte. Lydtin, der für die Einführung des Schlachthausbenutzungszwangs für Groß- und Kleinviehschlachtungen plädierte, empfahl den Schlachthof um einen Viehhof für den Viehhandel zu ergänzen. Beide etwa gleich großen Funktionsbereiche sollten durch eine Straße oder Mauer voneinander getrennt werden, damit im Falle einer Viehseuche im Viehhof der Schlachtbetrieb nicht eingestellt werden musste. Die verschiedenen Betriebsfunktionen (Markt- und Schlachthallen, Stallgebäude, Lager- und Kühlhalle, Gasthaus, Verwaltung etc.) auf einzelne Bauten verteilt werden und das architektonische Erscheinungsbild der Anlage so gestaltet sein, dass der eigentliche Zweck nicht erkennbar sei.
Auf der Grundlage dieses Gutachtens entwickelte Strieder bis 1885 den auf öffentliche Repräsentation abzielenden Bebauungsplan. In Anlehnung an kleinere Schloss- oder Herrenhausanlagen konzipierte er entlang der Durlacher Landstraße eine symmetrisch gestaltete Schauseite, indem er das die Mittelachse der Gesamtanlage akzentuierende Börsen- und Restaurationsgebäude rechts und links mit Verwaltungsbauten flankierte. Die drei Gebäude aus akkuratem Quadermauerwerk aus hellem Sandstein zeigen den damals gängigen Formenschatz der italienischen Renaissance. Die dahinter liegenden Funktionsbauten von Vieh- und Schlachthof waren zwar von unterschiedlicher Größe, aber dafür in ein streng orthogonales Raster parallel zur axial verlaufenden Schlachthausstraße eingebunden, um den Eindruck von Regelmäßigkeit zu wahren. Sie waren aus rotem Sand- und Backstein in einer vereinfachten Formensprache erbaut. Das 1905 nach Plänen von Friedrich Beichel erstellte Dienstwohngebäude des Schlachthofdirektors, das Kessel- und Maschinenhaus aus dem Jahr 1914 und die Schweinemarkthalle von 1927 ordneten sich noch weitgehend in die Anlage ein, während die späteren Veränderungen auf Kosten des einheitlichen Gesamtbilds gingen.
Die Zahl der Schlachtungen stieg – von den beiden Weltkriegen abgesehen – seit der Eröffnung des Schlachthofes am 28. März 1887 kontinuierlich an und erreichte von 1955 bis 1963 mit rund 100.000 Schlachtungen im Jahr den Höchststand. Von 1971 bis 1975 wurden die ehemaligen Schlachthallen durch Neubauten ersetzt. Veränderungen im Fleischhandel führten 1990 zur Schließung des Viehhofs. Weitere Modernisierungen, die Umwandlung des Schlachtbetriebs in eine städtische Eigengesellschaft 1978 und die Ansiedlung von Fleischgroßhandlungen und anderen Betrieben konnten die Einstellung des Schlachthofs 2006 nicht verhindern. Das Areal, dessen historischer Altbestand umgebaut und um moderne Neubauten ergänzt wurde, dient heute als Quartier für Kultur- und Kreativwirtschaft.
Quelle
Der Schlacht- und Viehhof zu Karlsruhe. Im Auftrag der Stadtgemeinde erbaut durch Stadtbaumeister Wilhelm Strieder, Karlsruhe 1890 (Stadtarchiv Karlsruhe 8/StS 8/Alben 145).
Literatur
Wolfgang Hartmann: Der Schlacht- und Viehhof der Stadt Karlsruhe, in: Industriearchitektur in Karlsruhe. Beiträge zur Industrie- und Baugeschichte der ehemaligen badischen Haupt- und Residenzstadt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Karlsruhe 1987, S. 76-88 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 6); Leo Schmidt: Tod im Kulturdenkmal. Der Schlacht- und Viehhof der Stadt Karlsruhe, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamtes, Jg. 21, 1992, H. 1, S. 5-10; Bernhard Hofschulte: Die Geschichte des Schlacht- und Viehhofes der Stadt Karlsruhe bis zum Jahre 1927, Diss. Tierärztliche Hochschule Hannover 1983; Liane Bieringer: Die Geschichte des Schlacht- und Viehhofes der Stadt Karlsruhe von 1928 bis in das Jahr 1988, Diss. Hannover 1993.