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Gesamtdeutscher Block/BHE


Gesamtdeutscher Block/BHE

Parallel zur ökonomischen Integration erfolgte die politische Integration der Vertriebenen. Ablesbar ist dies auch in Karlsruhe an den Wahlergebnissen der politischen Vertretung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. 1946 hatten die Alliierten ein Koalitionsverbot für die Vertriebenen erlassen wegen der Befürchtungen vor einem riesigen Oppositionspotential und einer Radikalisierung nach rechts. Die mit dem Verbot verbundenen Erwartungen, dass sich die Heimatvertriebenen den bestehenden Parteien anschließen würden, erfüllten sich allerdings nur teilweise, da diese sich der besonderen Bedürfnisse und Belange dieser Bevölkerungs- und damit auch Wählergruppe nur unzureichend annahmen.

So organisierten sich Vertriebene in Nordbaden in der schon 1947 gegründeten Interessengemeinschaft der ausgesiedelten Deutschen (IDAD), die sich als landsmannschaftlich und politisch neutrale Interessenorganisation verstand. In Karlsruhe wurde die achte Ortsgruppe am 12. Juni 1948 gegründet, woran der Mitbegründer der IDAD, Karl Bartunek, der seit 1948 seinen Wohnsitz in Karlsruhe hatte, maßgeblich beteiligt war. Die Karlsruher Neue Zeitung kritisierte, dass in Bartuneks Rede wenig von dem Geist zu spüren gewesen sei, "der die bedauerlicherweise immer noch bestehenden Spannungen zwischen Alt- und Neubürgern" überwinden könne.

Da sich im Vorfeld der ersten Bundestagswahl abzeichnete, dass sich die Parteien der ausreichenden Aufnahme von Neubürgern auf ihren Wahllisten verschlossen, bildete sich in Württemberg-Baden die Notgemeinschaft der Flüchtlinge und Fliegergeschädigten. Dies geschah, um das Verbot einer Flüchtlingspartei zu umgehen. Obgleich deren Lizenzierung ausblieb, beteiligte sie sich an der Bundestagswahl. Sie erzielte in Württemberg-Baden 15,4 % gültige Stimmen, womit sie nur knapp unter dem Bevölkerungsanteil der Neubürger von 17,8 % blieb. In Karlsruhe, wo die Notgemeinschaft wie in den anderen Städten mit einem Kandidaten der Fliegergeschädigten antrat, erreichte sie 9,3 % bei einem Bevölkerungsanteil von 11 %.

Auch nachträglich erhielt die Notgemeinschaft keine Lizenzierung. Das gute Ergebnis der Wahl erzielte jedoch Wirkung. Nachdem mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes das Koalitionsverbot gefallen war, entstand als bundesweite politische Flüchtlingsvertretung der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, der 1952 in Gesamtdeutscher Block/BHE umbenannt wurde. Der GB/BHE vertrat die ökonomisch-sozialen Interessen der Vertriebenen in einer Gesellschaft, die diesen Neubürgern lange in weiten Teilen ablehnend gegenüberstand. Mit der Betonung des "Lebensrechts im Westen" gelang es der Partei, die Vertriebenen aus ihrer Außenseiterrolle in der bundesrepublikanischen Gesellschaft herauszuführen. Parallel dazu verblasste mit dem fortschreitenden Integrationsprozess und den außenpolitischen Entwicklungen die Hoffnung auf die Rückkehr in die alte Heimat und damit die Programmatik des "Heimatrechts im Osten". Mit der Angleichung der Lebensverhältnisse von Alt- und Neubürgern verlor der GB/BHE zunehmend Bindungskraft für die Vertriebenen, die auch durch nationalistische bzw. revisionistische Agitation nicht gesichert werden konnte. Die Anhänger- und Wählerschaft der Partei wanderte in den 1960er-Jahren überwiegend zu CDU/CSU und FDP ab.

Der GB/BHE war im Bundestag von 1953 bis 1957 vertreten, im Landtag von Baden-Württemberg bzw. dessen Vorläufern von 1950 bis 1964 und im Karlsruher Gemeinderat von 1951 bis 1965. In Karlsruhe kam die Partei bei den Bundestagswahlen jedoch nie über die 5 %-Hürde, ihr Anteil sank von 4 % 1953 auf 2,2 % 1961. Bei den Landtagswahlen hatte sie 1950 ihren höchsten Anteil von 10,4 %, 1952 schaffte sie mit guten 6 % noch die Hürde, um danach jedoch deutlich darunter zu liegen. Im Karlsruher Gemeinderat waren die Vertriebenen durch vier Gemeinderäte bei unterschiedlichen Parteien seit 1947 vertreten. Bei den Gemeinderatswahlen trat der BHE bzw. GB/BHE erstmals 1951 an und gewann mit 5,9 % einen Sitz, den der ehemalige Generaldirektor der Karlsruher Lebensversicherung (KLV) Adolf Franz Samwer erhielt. 1953 - damals wurde noch roulierend alle zwei Jahre jeweils die Hälfte der Gemeinderäte neu gewählt - errang sie zwei Sitze mit 5,4 %, 1956 einen Sitz mit 3,8 %, 1959 drei Sitze mit 4,4 % und 1962 letztmals einen Sitz mit 3,2 %. Die Partei vertaten in dieser Zeit die Stadträte Willi Gutmann, Ausstellungsleiter der Deutschen Therapiewoche, 1956 - 1963 GB/BHE, der in den 1960er-Jahren zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) übertrat, Alfred Malzacher, Direktor, 1953 – 1959, der 1956 zur CDU übertrat, und Franz Zemann, Schmuckwarenfabrikant, 1959-1965. Alle waren wie auch Samwer ehemalige Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP).

Der Wähleranteil des GB/BHE lag in Karlsruhe also weit unter dem Bevölkerungsanteil der Vertriebenen und sank bei den Bundes- und Landtagswahlen kontinuierlich ab. Bei den Gemeinderatswahlen hätte eine dem Bevölkerungsanteil entsprechende Stimmabgabe eine wesentlich höhere Zahl von Gemeinderäten ergeben. Aber auch hier sank die Zustimmung deutlich ab. Der GB/BHE hatte seine soziale Basis und damit seine politische Wirksamkeit verloren, oder positiv ausgedrückt: Die Heimatvertriebenen hatten sich auch politisch in die Aufnahmegesellschaft eingegliedert.

Manfred Koch 2025

Literatur

Manfred Koch unter Mitwirkung von Kathrin Bohland, Alois Kapinos, Catherine Walzer: "Angekommen! Angenommen?" Die Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen nach 1945, in: Manfred Koch/Sabine Liebig (Hrsg.): Migration und Integration in Karlsruhe, Karlsruhe 2010, S. 57-86, S. 76-79 (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs Bd. 31); derselbe: Vom Zufluchtsort zur Neuen Heimat. Flüchtlinge und Vertriebene in Karlsruhe nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Manfred Koch (Hrsg.): Bewegte Zeiten. Beiträge zur Karlsruher Geschichte, Ubstadt-Weiher 2022, S. S. 239-275 (= Forschungen und Quellen. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe Bd. 21), hier weitere Quellen- und Literaturhinweise.